Menschen können nur schwer auf die „vernünftige“ Ebene umschalten, wenn ihre Gefühle nicht klar erkannt und benannt sind. Erst durch das Anerkennen von Gefühlen entsteht die eigentliche Sicherheit und Verbindung.

Gefühle sind universell, ihr spontaner mimischer Ausdruck ist überall auf der Welt der Gleiche und sie lassen sich nicht hintergehen oder unterdrücken – weder die positiven noch die negativen, so ist jede Handlung und Begegnung, so sachlich sie auch erscheint oder gemeint sein mag, mit Gefühlen verknüpft. Der Konflikt ist mit starken, unangenehmen Gefühlen verknüpft, die dem Gegenüber zugerechnet werden, obwohl vom jeweiligen Selbst erzeugt werden. In dem Moment, wo das Gegenüber handelt oder spricht, werden kurze unkontrollierbare Emotionen im Selbst ausgelöst. Der im Gehirn erzeugte Streß verhindert das vernünftige Verständnis – die Parteien bleiben im Schwarz-Weiß-Denken und können keine Grautöne mehr erkennen.

Wenn eine Konfliktpartei in Wut auf den Tisch haut und »Scheiße! Du hast mich hängen lassen« brüllt, erzeugt dies Ohnmacht oder Gegenwehr. Die eigentlichen Botschaften dahinter gehen unter und werden nicht gehört oder gesehen.

Ist das Gegenüber wütend, weil es sich alleine gelassen und hilflos fühlte und kann dies gesehen werden, dann steht ein Weg für die Verständigung und eine mögliche Lösung in der Sache offen. Insofern hilft es – wenn durch den unabhängigen Dritten, den Kollegen oder externen Berater die Emotionen gesehen, anerkannt, ausgesprochen und vermittelt werden, ohne dass Ohnmacht oder Gegenwehr getriggert werden.

Sind sie völlig außer sich, weil sie sich bei der Projektarbeit allein fühlen? Sie sind der Auffassung, dass das keiner sieht?“

Akteur im Streit sind im Prinzip über ihre Spiegelneurone fähig, die Not des jeweils Anderen innerlich nachzuempfinden, auch wenn Sie in der Sache anderer Meinung sind. Voraussetzung ist jedoch, dass sie nicht aufgrund von Stress diese Fähigkeit zur Empathie abgeschaltet haben.

Deshalb brauchen Streitfälle eine sichere Umgebung und Zeit, so dass der Stresslevel bei den Akteuren möglichst gering bleibt. Das intuitive Verständnis ist er Schlüssel bei jedem Konfliktprozess sofern er ein Veränderungs- und Wachstumsprozess für alle werden soll.

Hier nun sind jedoch sogenannte Pseudogefühle zu unterscheiden bei allen, die den Stress minimieren und den Konflikt lösen wollen.

Pseudogefühle

Pseudogefühle sind Gefühlsmasken, die ein Täter-Opfer-Verhältnis definieren. Es enden viele Aussagen, die mit der Wendung »Ich fühle mich … « beginnen mit Schuldzuweisung: »Ich fühle mich über den Tisch gezogen.«. Diese Aussage stößt dann in die offene Wunde das Gegenübers und stilisierte es zum Schuldigten.

Dies ist nun vor allem vom helfenden Vermittler zu beachten, wenn er oder sie sagt: »Frau Meier, sie fühlen sich also in die Ecke gedrängt und möchten, dass Herr Müller aufhört sie zu schneiden?« Der vermeintliche Helfer wird Teil und Unterstützer der Richtig-Falsch-Rhetorik und des Opfer-Täter-Mythos eines Akteurs und verliert die neutrale Allparteilichkeit. Der so Beschuldigte wird seine Gegenwehr und Aggression dann auf den Helfer wenden, der zunehmend in den Konflikt hineingesogen wird.

„Über-den-Tisch-gezogen“ ist eben kein Gefühl, sondern eine metaphorische Aussage mit „Stachelwirkung“

Primärgefühle

Echte Gefühle erkennt man an folgenden Merkmalen:

  • Sie bestehen den »Babytest«: Wenn ein Kleinkind es nicht empfinden könnte, ist es wohl mehr ein Gedanke oder eine Vorstellung als ein Gefühl.
  • Sie sind körperlich spürbar. Mutlosigkeit lähmt, Nervosität drückt sich im Kribbeln aus. Wenn Gefühlsaussagen nicht körperlich erkennbar sind, sind sie wohl mehr Gedanken
  • Sie drücken keine Täter-Opfer-Beziehung im Muster »Ich bin verletzt -du bist schuld!« aus, sondern zunächst reine Ich-Botschaften »Ich fühle mich angespannt«.

Typische Aussagen, die auf Pseudogefühle hinweisen sind:

abgelehnt, allein gelassen, an den Pranger gestellt, diskriminiert, dominiert, ernst genommen, festgenagelt, frustriert, in die Ecke gedrängt, missachtet, nicht einbezogen, nicht gesehen, nicht respektiert, totgequatscht, überfordert, übergangen, überlistet, unter Druck gesetzt, unterbezahlt, unterdrückt, unverstanden, , verärgert, verarscht, verfolgt.

Von Primärgefühlen und Pseudogefühlen sind wiederum Sekundärgefühle zu unterscheiden

Sekundärgefühle

Sekundärgefühle sind Gefühle, die durch das eigene Bewusstsein hervorgerufen werden. So sind Schuld und Scham Sekundärgefühle, weil sie im Kontext zu sozialen Normen und Werten zu betrachten sind. Sekundärgefühle beinhalten den Gedanken, dass jemand anderes oder das Selbst nicht in Ordnung sind. Sekundärgefühle sind also ein Zweikomponentenkleber aus wertenden Gedanken und Primärgefühlen. Sie würden als solche jedoch nicht den Babytest bestehen.

Insofern verstecken sich hinter Pseudogefühlen oft Sekundärgefühle. Sie drücken mit einer gewissen Entrüstung aus, was ich über das Verhalten anderer denke. Dabei orientieren sich die jeweiligen Wertungen an einem für absolut und prinzipiell gesetzten „Normalmaß“ mit dem ich das Verhalten bewerte – und damit das Selbst des jeweils anderen in Frage stelle, d.h. beschäme.

Scham kann mit starken Tabuthemen verbunden sein insofern ist es für die dritte Partei und den „Helfer“ nie hilfreich Druck auf sich oder die jeweilige Streitpartei auszuüben, um alle Primärgefühle zu erhellen. Selbst mit den Sekundärgefühlen lässt sich gut arbeiten.

Wenn die Streitparteien durch zunehmenden Vertrauensgewinn und wachsende Selbsterkenntnis aussprechen können, was sie hinter ihrer Wut oder ihrer Schuld an ursprünglichen Gefühlen erleben - zum Beispiel alte Erinnerungen und Erfahrungen, kann dieser Erkenntnisgewinn als wesentlicher Erfolg für alle Beteiligten verbucht werden. Erst diese zunächst im Konflikt verborgenen Informationen tragen im Wesentlichen zum Verständnis der verschiednen Bedürfnisse und zu tragfähigen Lösungen bei.