Wenn es in der öffentlichen Verwaltung um Fragen der Transformation in Richtung Flexibilität, Digitalisierung und Prozessoptimierung geht, so erlebe ich gleichermaßen hektische Betriebsamkeit, sorglose Bewegungslosigkeit und teils erschrockenes Erstarren und frage mich natürlich, was angemessene Interventionsformen sein könnten. Mit diesem Essay werde ich mich an der Bedeutung von Raum bei Fragen der Veränderungsgestaltung herantasten. Raum ist ein gleichermaßen übersehener wie unterschätzter Aspekt in seiner Wirkung auf Menschen und soziale Systeme.

Beziehungen werden existenziell durch Raum gestaltet.

Die Gegenwart unserer Existenz findet immer in einem Raum statt. Gemeint ist sowohl der physische und mehr noch der symbolisch gestaltete Raum, die Farben, die Raumgröße, die Anordnung der Möbel und die Anwesenheit bestimmter Akteure. Ein dadurch bestimmtes eigenes räumliches Milieu, eine eigentümliche Atmosphäre bestimmt die Art und Weise der Begegnungen, die möglich oder eingeschränkt werden.

Jeder Raum prägt sein Soziotop und jedes eingesessene Soziotop prägt einen besonderen Raum.

Die Sitzordnung der Meetings, das Portal eines Gerichtsgebäudes oder die Flure und Wartesäle der öffentlichen Dienste zwängen uns als Bürger und Mitarbeitende in eine spezifische Ordnung von Verhaltens- und Gefühlsprogramme, die uns zumeist völlig unbewusst steuern.

Unser Bauchgefühl erkennt, welche Handlungen in diesem Raum sozial nicht erwünscht oder angebracht wären. Wenn wir in der Philharmonie sitzen unterdrücken wir das Räuspern und wenn unserer Kinder aufgeregt und „unzivilisiert“ neugierig durch Flure eines Amtes rennen, geht unser Puls leicht hoch. Wir fühlen dann gewissermaßen eine Fremdscham in den Augen der Mitwartenden und greifen pädagogisch ein (oder fühlen uns als „nicht-angepasste Rebellen-gegen-die-Systemzwänge“ und greifen ganz bewusst nicht ein. Räume, Gedanken und Gefühlsprogramme sind strukturell gekoppelt.

Möglich ist auch, dass wir als kulturfremde Migranten, diese Sozialräume noch gar nicht zu lesen wissen und so in den Augen der Eingesessenen als unzivilisiert erscheinen.Unserer Arbeits-und Begegnungswelten bestehen aus räumlichen Inszenierungen mit realen oder symbolischen Be-Grenzungen. Es bieten sich Möglichkeitsräumen, Tabuzonen oder standardisierte Ab-läufe.

Die funktionalen Abläufe und Ausstattungen sind von Architekten oder Bauherren so gewollt und geplant (so hoffen wir). Als ich vor einem Jahr durch die Fluren der Staatsanwaltschaft in Berlin Tiergarten in der Wilsnacker Straße geirrt bin, ein Gebäude aus den 80e Jahren, fühlte ich mich sofort an Kafka erinnert und war mir sicher, dies war vom Architekten so gewollt.

Lange Gänge

Bei der Entwicklung der Verwaltungsabläufe wird nun um Flexibilisierung und Agilität gerungen. Interdisziplinäre Begegnung ist hier und da gewünscht und die Ressorts übergreifende Projektarbeit soll unterstützt werden. So stellt sich die Frage nach produktiven Räumen, denn das Hier und Jetzt wird nicht durch abstrakte Organigramme verändert, sondern allein durch die Art und Weise, wie sich die Menschen in der Arbeitsrealität begegnen und in-Beziehung-setzen können.

Wenn ich von außen hineinschaue, dann findet die Arbeitsordnung in langen Fluren statt von denen links und rechts die kleinen Arbeitsräume abgehen. Eine räumliche Anordnung, wie sie in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts angesagt war und den Krieg überlebt hat, nun also saniert und neu gestrichen. In vielen Fällen mag die Ordnung funktional oder zumindest gewohnt sein. Für manche Abläufe und Begegnungen sind diese An-Ordnungen als für Arbeitsbedingungen jedoch wenig effektiv.

Open Space

Die Frage nach effektiven Arbeitsräumen betrifft die realen Bühnen, Arenen und Kulissen, die hier in den Blick zu nehmen und zu gestalten sind.

Mitarbeitende und Führungskräfte, die mit den raum-zeitlichen Ordnung von Symposien und Podiumsdiskussionen vertraut sind, kennen die typischen Settings einer Sitzordnung in Stuhlreihen mit Blick auf die Bühne. Ein Arrangement, das wir bereits aus der griechischen Antike kennen.

Wir können hier geschützt aber nicht wirklich involviert den Dramen und Tragödien der Welt lauschen, ohne verantwortlich eingreifen zu müssen oder gar zu dürfen.

Das Auditorium zwingt uns in eine räumliche Hierarchie, eine „göttliche“, nicht hinterfragbare Ordnung, wie der Begriff im Ursprung meint. Wir erleben diese tabuisierten Ordnungsbeziehungen in der Peinlichkeit beim Aufstehen und Weggehen Mitten in der Aufführung - oder falls man zu spät kommt.

Man meint dann die vermeintlich wichtigen Protagonisten auf der Bühne zu stören.

Ebenso scheinen die langen Gänge und Gebäudestrukturen der Dienstsitze eine hierarchische, nicht hinterfragbare Ordnung eingeschrieben. Kann man die einfach so ändern?

Mit Blick auf Symposien wurde irgendwann festgestellt, dass der eigentliche Austausch sich nach den Bühnenshows hin zu mehr informelleren Begegnungen in die Lobbys und hin zu den obligatorischen Buffets bewegt. Hier regelte sich die Vernetzung dann von alleine, scheinbar ungeregelt und selbstorganisiert – agil eben.

Aus dieser erkennenden Beobachtung entstanden dann neue, Austausch- und Begegnungsformate wie „Open Space“ oder „World-Café“, die neue Strukturen, Zeiträume und Rhythmen der Begegnung, mehr auf Augenhöhe ermöglichen.
Entsprechend werden nun in den modernen Konferenzzentren Räume als offene Begegnungslandschaften geschaffen in denen sich das Mobiliar aus Tischen, Stühlen und Präsentationstechnik flexibel je nach Bedarf anpassen lässt.

Scrum, Kanban und Co. und die WG-Atmosphären Kreuzbergs

Neben Konferenzformaten werden neue methodische Formate einer agilen Steuerung von Projekten unter Begriffen wie Scrum, Kanban oder Design-Thinking angepriesen. Der Kern der Methoden zielt auf den schnellen Austausch, rasche Entscheidung in der komplexen Situation und vernetzte Begegnung auf Augenhöhe.

Die neuen Innenarchitekturen, die man dazu in ehemaligen, offenen Fabriketagen in Berlin-Kreuzberg bei innovativen Unternehmen der IT- und Medienwelt besichtigen kann, muten zunächst an wie Lebensräume einer Wohngemeinschaft: Lounge-Sessel, gemeinsames Kochen, Arbeitsecken mit PC, geschützte Bereiche für ungestörte Kommunikation stehen dicht beieinander. Die IT-Infrastruktur ist nicht mehr an Kabelstränge angewiesen, sondern an ein leistungsfähiges WLAN. Wem es hier zu eng wird, kann auch im Café gegenüber oder von unterwegs arbeiten.

Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung schauen auf diese Möglichkeiten in einer Mischung aus staunender Faszination über das Versprechen von Freiheiten gepaart mit einem Schauder vor vermutetem Chaos und gefühltem Statusverlust.

Hier herrscht bei näherem Hinsehen eine subtile Funktionalität in der Begegnung und Zusammenarbeit. Die scheinbar chaotisch anmutenden Arrangements unterstützen ein flexibles Arbeiten in vernetzten Gruppen und Projekten. Es gibt auch hier formelle und informelle Hierarchien, denn gerade flache Hierarchien brauchen kluge Führung und das Ganze funktioniert nur durch geregelte Formen methodischer Selbstorganisation. Der Raum repräsentiert insofern ein eigenes Führungsverständnis.

Er wird nur brauchbar durch ein gehöriges Maß an Kompetenz zur Selbstverantwortung und an flexibler Verantwortungsteilung. Diese Prinzipien verhindern, dass man sich hier „festsitzt“. Autorität und Führung ergibt sich aus der akzeptierten Rolle und Funktion im Gesamtspiel.

Auf Augenhöhe

Wenn ich in Workshops Teilnehmenden aus der öffentlichen Verwaltung einen offenen Stuhlkreis vorsetze, der Augenhöhe und offene Begegnung unterstützt, so meine ich mitunter Panikattacken in den Augen zu erkennen. Es erscheint eine Angst, hier vielleicht zu viel von sich preis geben zu müssen oder gar gesehen zu werden. Dies wird dann vordergründig von dem Argument begleitet: „Wo lasse ich denn meine Akten?“; wir ahnen aber, darum geht es nicht.

Oft weiche ich auf das „U“ aus Tischen aus. Eine respektvolle Distanz unter Kollegen muss sein. Hier kann man dann auch mal was „unter den Tisch“ fallen lassen und sich nur schwer „in die Karten schauen“ lassen.

Statusfragen

Ich bin immer wieder erstaunt, wie manche Führungskräfte nicht begreifen, wie mittels Raum- und Zeitgestaltung die Kommunikation und Motivation von Menschen beeinflusst werden und der Mit-Verantwortung Raum geben wird.

Es ist eben ein großer Unterschied, ob ich den Mitarbeiter in „mein“ Büro bitte und ihm oder ihr mein „Territorium“ aufzwänge (was ja im ernsten Disziplinargespräch durchaus Sinn macht) - oder ob ich eine informelle Ebene anklingen lasse, indem ich das Gespräch auf dem gemeinsamen Weg zur Kantine beginne.

Auch bin ich erstaunt, wie festgefahren und ritualisiert die Meetings werden, wenn sich eine Sitzordnung erst einmal fest-gesessen hat und so aus den Gräben der informellen Fraktionen heraus die verschiedenen Positionen verteidigt werden.

Be-Heimatung

Allein die Aufforderung, einmal die Plätze zu tauschen oder im Vorfeld einen anderen Ort für das Treffen zu wählen, würde Möglichkeitsräume schaffen und neue Sichtweisen bieten.

Wir werden bei der Flexibilisierung von und durch Raumgestaltung nicht immer auf Begeisterung der Insassen stoßen. Es ist für mich als Beobachter vom Rand des Geschehens ebenso faszinierend wie erschreckend, wie schnell sich viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und in ihren Arbeitsorten und Sachgebieten eingerichtet und eingesessen haben: Plüschtiere, Postkarten und Plakate an und um die Schreibtische herum geben dem Ort seine gemütliche Note – Menschen suchen Be-Heimatung.

Tief beeindruckte mich der gedruckte Spruch am Veranlagungsplatz meines Finanzamtes: „Welten vergehen, die Verwaltung bleibt.“ Wir müssen also mit Blick auf effektivere Beziehungs- und Organisationsstrukturen über Raum sowohl Offenheit als auch Schutz und Vertraulichkeit bieten. Und wir wissen aus dem Erfahrungsschatz unserer Grundschulzeit, wie bewegend es für uns und den gesamten Klassenverband sein kann, wenn ab und zu die komplette Sitzordnung aufgehoben wird und man in das Wagnis geworfen ist, neue Beziehungen einzugehen.