Mit dem folgenden Versuch tasten wir uns an die Frage heran, inwiefern sogenannte „agile“ Methoden schlichtweg nicht in die Realität der Behördenwelt passen, es aber dennoch wert wäre, die anpassungsfähig zu machen, da die „alten“ Methoden definitiv nicht mehr angemessen sind.

Der Idealtypus Projektleitung

Folgt man dem geläufigen Mythos einer Projektleitung als Funktionsstelle, so ist diese in der Idealvorstellung gefüllt mit dem Typus des pragmatischen Machers (oder eben der Macherin). Diese hat die Fäden in der Hand und bringt die Dinge in vorab geplanter Weise voran – gegen alle Widerstände und Widrigkeiten des Behördenalltags.

Dieser Idealtypus entspricht dem Entrepreneur und Ingenieur, der Wagnisse eingeht, wie den Bau des Eifelturms oder des ersten Überseekabels zu bauen oder das Bild des Kapitäns, der auf der Brücke steht und als letzter von oder über Bord geht. Soweit die nette Vorstellung.

 Hier treffen wir schon auf die ersten Widersprüche. Beamte und Angestellte in der öffentlichen Verwaltung sind selten als Bau- und Brückeningenieure oder Hochseekapitäne ausgebildet und sind eben nicht dafür eingestellt, Wagnisse einzugehen.

Dies ist nicht in die kulturelle DNA des bürokratischen Handelns eingeschrieben. Risiken eingehen und sich in Grauzonen zu bewegen ist der typischen Karriere eher abträglich. Hasardeure werden eher nicht gesucht in den Stellenbeschreibungen und über den legitimen Rahmen wachen allerorts Haushälter, Fachjuristen und Mitarbeitervertretungen mit ihren teils berechtigten aber immer etwas lähmenden Ein- und Ansprüchen.

Die gute Idee der Bürokratie – die Welt als Maschine

Schauen wir auf die Wurzeln zurück. Das Ideal der Bürokratie, so Max Weber, soll eine rationale Form der Herrschaftsausübung garantieren. Gegenüber dem wechselnden politischen Personal, das alle 4 Jahre mit notwendigem Getöse die Bühne betritt, soll der Verwaltungsapparat Kontinuität, Verlässlichkeit und Transparenz sichern – und das ist auch gut so für den Bestand einer demokratischen Gesellschaft.

Verwaltungen sind eben keine Wirtschaftskonzerne oder Star-Ups mit Aussicht auf volatile Risiken. Verwaltungsmitarbeiter*Innen brauchen hier kein schlechtes Gewissen zu haben, sie leisten unter den gegebenen Bedingungen zumeist hervorragende Arbeit, allerdings definieren die gegebenen Strukturbedingungen eben auch die Kultur und den Beziehungsalltag der Häuser.

Handlungen, so Max Weber, sollen zweckgeleitet aufeinander in Beziehung gesetzt werden. Alle Teile, Ressorts wie Personal soll in eine regelhafte Verstätigung geführt und zu einem reibungslosen Ganzen verbunden werden – eine große geölte Maschine. In dieser ist jede/r Protagonist*in ihr wohldefiniertes Rädchen ist. Das sich dann bezüglich der notwendig definierten Fremdbestimmung immer Fragen muss: Bin ich überhaupt zuständig – oder falle ich hier aus dem Rahmen und werde zum Sand im Getriebe?

Neben Weber, der diese rationale Maschine trefflich beschreibt, ist es Henri Fayol, der den Blick auf die Steuerung dieser Maschine richtet.

Wie Hochseekapitäne wissen und Leichtmatrosen ahnen, sollte man einen gut geölten Hochseedampfer (wenn es sowas überhaupt gibt) nicht bei schneller Fahrt und auf offener See umbauen. Auch wenn die Reeder im Hafen davon immer träumen – jener agilen Anpassung.

Da kann einem der Kessel mächtig um die Ohren fliegen, wie viele Maschinisten, die schon länger an Bord sind, schmerzlich erfahren haben.

Wie aber den Dampfer umbauen, um ihn schnell und geschmeidig den neuen Strömungen und Klimabedingungen anzupassen.

Fayol gibt dazu die notwendig „bürokratische“ Schrittfolge vor.

Führung im Prozess der Zeitachse bedeutet die Abfolge von Planung, Befehl, Organisation, Koordination, Kontrolle. Ausgebildete Projektleiter/innen werden hier den PDCA-Zyklus von Herrn Deming wiedererkennen: Planen, Durchführen, Checken, Anpassen - so schön so gut.

Wandernde Ziel und widersprüchliche Daten- und Erwartungslagen

Hier erkennen wir nun den dritten Widerspruch, mit dem die Funktion der Projektleitung auf die Realität trifft.

Bei komplexen Vorhaben geben die Planungen und Analysen bestenfalls grobe Anhaltspunkte über die zukünftige „Realität“, denn während noch aufwändig analysiert, geplant, budgetiert und in den Gremien abgestimmt wird und bis die Planungsdokumente freigezeichnet wurden, hat sich die „Realität“ schon mehrfach von dieser Planung verabschiedet und nimmt ihren unvorhersehbaren, oft unlogischen Weg.

 

Die soziale Welt der öffentlichen Verwaltungen schafft sich ihre je eigenen mikropolitischen Bedingungen. Der Lauf der Rädchen, Resorts, Fraktionen oder mitbestimmungsberechtigten Akteuren ist nur bedingt in den Planungen vorherzubestimmen und einzufangen. Ebenso wenig sind es die makroklimatischen, d.h. (gesellschafts-)politischen Bedingungen, die in ihrem 4-Jahres Schweinezyklus und den Doppelhaushaltsfragen die Projekte herausfordern – und manchmal aus unvorhersehbaren Ereignissen wie jüngst Corona.´.

 

Dies sind Bedingungen von Soziotopen, die in die Methodenwelt „agiler Hipster“, die nun seit Jahren überall in Foren und Veröffentlichungen angeboten werden, noch wenig eingerechnet. Gemeint sind methodische Konzepte wie Scrum bis Design Thinking, um nur die prominentesten zu nennen.

 

Das Agile Manifest

Auch im IT-Projektmanagement, woher diese Methoden im Ursprung stammen, galt jahrzehntelang das „Maschinenmodell“ mit dem irrigen Glauben, man könne und müsse die Dinge im Vorfeld bis auf die letzte Schraube hin planen, das Ganze optimiert mit Ressourcen hinterlegen und könne dann zielsicher und linear auf das definierte Ziel hin losprogrammieren.

Entgegen dieser Größenphantasie, die vielerorts grandios gescheitert ist und weiterhin scheitert, haben einige internationale Softwareingenieure im Jahre 2002 ihr Agiles Manifest formuliert, das aus nur wenigen Prämissen besteht – die haben es aber mit Blick auf die Verwaltungspraxis in sich. Und die muss man verstanden haben, wenn man das Wort „agile Methode“ in den Mund nimmt.

Die Autoren des Agilen Manifest verabschieden sich ganz bewusst von der Berechenbarkeit einer komplizierten Welt. Sie anerkennen Komplexität, Widersprüchlichkeit und Unsicherheit in den Weltverhältnissen und versuchen dennoch rationale Planung, sowie legitimierende Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen aufrecht zu erhalten, denn sonst wäre man, wie im Mittelalter, wieder auf das Beten und Hoffen angewiesen und würde Projekte den Schamanen oder Hohepriestern mit ihrem Geheimwissen überlassen.

Die agilen Prämissen lauten:  

  • Flexible Selbstorganisation und Ausrichtung auf ein grobes Ziel, das sich auch im Laufe verändern kann.
  • Itterative Schritte als trial and error auf das (unlogisch wandernde) Ziel hin unter Aufgabe eines Masterplans oder einer Blaupause
  • Mitverantwortung und kritischer „Eigen-Sinn“ aller beteiligten Experten, Akteure und Entscheider unter Aufgabe der Idee, man könne Komplexität durch „Ansagen“ reduzieren.

Verwaltungspraktiker erkenne sofort, dass man insofern agile Methoden in der öffentlichen Verwaltung sofort vergessen kann, diese sind nicht Anschlussfähig.

Organisationen nicht mit dem Organigramm verwechseln

Aber halt! Lassen Sie uns kurz überlegen, was eigentlich eine Organisation ist. Diese darf eben nicht mit dem Organigramm und den hinterlegten BAK verwechselt werden.

  1. Organisationen sind keine starren Gebilde, sondern bestehen aus sozialen Beziehungen, die sich täglich verändern bzw. gegenseitig stabilisieren.
  2. Organisationen und insofern die Beziehungen zu stabilisieren, d.h. Funktionen, Rollen, Strukturen oder Prozesse zu definieren und täglich am Leben zu halten ist Aufgabe aller - aber insbesondere die der Führungskräfte.
  3. Damit entsteht ohnehin ein Spannungsfeld zwischen geforderter Stabilität und bürokratischer Rationalität und notwendiger bzw. mitlaufender „agiler“ Anpassung
  4. Dies Anpassungsleistungen leisten nicht Organisationen, sondern Menschen!

Gerade in Zeiten der Corona konnten wir ja schön erkennen, wie agil viele Organisationseinheiten und ihr Personal Lösungen gefunden hat - im Sinne der Funktion und der gesellschaftlichen Verantwortung.

Selbstorganisation ist eine Funktion aus Transparenz, Vertrauen, Rollenklarheit und Entscheidungsstruktur

Agilität bedeutet im Kern Selbstorganisation. Sie lebt insofern von Voraussetzungen, die bis auf die Ebene der Mentalität und „Selbstführung“ jedes einzelnen Mitarbeiters und jeder Mitarbeiterin gehen.

Insofern halten wir es mit der Feststellung von Prof. A. Aulinger :

„Ein ganz klassisch organisiertes Unternehmen, in dem viele Menschen mit agilen Mindsets tätig sind, kann agiler sein als ein Unternehmen, in dem die modernsten Management-Tools installiert sind, in dem die Menschen jedoch mit ihren klassischen Mindsets tätig sind“   (A. Aulinger 2016: Drei Säulen der Agilität :4)

So ist es denn auch mit Projekten in der öffentlichen Verwaltung. „Wo Kommunikation rege und wertschätzend zwischen den Beteiligten innerhalb und außerhalb eines Unternehmens stattfindet und von dem Willen getragen ist, immer noch bessere Lösungsideen zu suchen und auszuprobieren, da entsteht seit jeher Agilität“ (a.a.O. :5)

Und diese Formen der Agilität sind ja bereits seit vielen Jahren in der Verwaltung zu beobachten und nichts Neues.

Unterwachung

Niklas Luhmann, der große Systemtheoretiker, der selbst lange Jahre in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet hat, beschreibt dies Verhältnisse mit dem Begriff der „Unterwachung“. Er tat dies weit bevor der Begriff Agilität geprägt wurde. Auf

eindrückliche und witzige Weise ist dies in der Aufsatzsammlung „Der neue Chef“ nachzulesen.

Im Kern geht es darum, dass die Experten an der Basis immer einen besseren Überblick über die Realität der „Welt“ haben als die Führungskräfte und immer eine Möglichkeit haben, ihre Führungskräfte zu führen. Übertragen auf die Verhältnisse komplexer Projekte heißt das methodisch, diese verschiedenen Sichten und Realitäten der verschiedenen Experten und Expertinnen – Resort übergreifend und interdisziplinär abzustimmen und zu synchronisieren – immer wieder neu.

Die große Kunst ist es, alle Sichten – vertikal in den Fachresorts und Horizontal zu den Entscheidungshierarchien zusammenzuführen und eine konsensuelle Entscheidung für die ad hoc beste Antwort auf das wandernde Ziel anzubieten.

Keine leichte Aufgabe.

Die günstigen Methoden dazu sind dann eben jene „agilen“.

Agile Methoden in Projekten der Verwaltung

Im Kern ist auch das kein Hexenwerk, es sind Workshopformate – teils durch unparteiische Dritte moderiert – in denen schonungslos und ohne Schuldzuschreibungen und mit hohem gegenseitigen Vertrauen in Integrität und Expertise die nächsten mögliche Schritte entschieden werden – Ohne „par ordre du mufti“ – und eben auch umgesetzt werden – in kleinen Schritten unter Beachtung der legitimen Spielräume, die jeder Mitspieler voll auszufüllen gedenkt – auch die Kolleginnen und Kollegen vom Haushalt oder die Fachjuristen oder der Datenschutzexperte.

Klingt einfach, ist es aber nicht.

 Ein Beitrag von Dr. Hans-Christian Lippmann und Petra Henning