Coaching ist begrifflich nicht fest umrissen und methodisch umstritten, wie eine Studie von Prof. Dr. Stefan Kühl an der Hochschule der Bundeswehr zeigt (s. Wirtschaft und Weiterbildung Januar 06). Dennoch gilt Coaching mittlerweile als fester Größe in der betriebliche Praxis der Personalentwicklungen, vor allem im Bereich der Führungskräfteentwicklung. Und das mit steigender Tendenz, wenn man dem Statusbericht „Coaching und Unternehmenskultur“ von Dr. Thomas Bachmann, des artop e.V. aus dem Jahr 2006 folgt (link nicht mehr verfügbar).
Parallel zu diesem Werkzeug professioneller Unterstützung in Unternehmen hat sich die Kommunikationstechnologie revolutioniert. Kein Büroarbeitsplatz ohne E-Mail und fast kein Meeting ohne Laptop. Ein neugieriger Blick ins Internet landet allein mit dem Stichwort „E-Coaching“ 141.000 Treffer weltweit, davon allein ca. 25.000 auf deutschsprachigen Seiten. Unter dem Begriff sammeln sich Themen wie E-Mentoring, Tele-Coaching, E-Tutoring oder die Begleitung persönlicher Fitnessprogramme via Internet. Wenig davon entspricht einem Coachingbegriff im Sinne einer prozessorientierten Begleitung, wie er z.B. auf der Coachingplattform von Christopher Rauen (www.rauen.de) definiert wird. Insgesamt sind nur sehr wenige inhaltliche Konkretisierungen und methodische Praxishinweise zu „E-Coaching“ zu finden. Lediglich eine Studie von Jürgen Fritsche et al., die im Rahmen eines Seminars des Psychologischen Instituts der Universität Wien im Sommer 2002 erstellt wurde, gab valide Hinweise. Aufgrund dieser relativ schwachen Informationslage haben wir, die Autoren, die Frage gestellt, welche Möglichkeiten die technische Revolution Internet der aktuellen Praxis des Coachings bietet und welche Erfahrungen damit gemacht werden. Per vorstrukturiertem Fragebogen wurde ein ausgewählter Kreis von Coaches angesprochen. Adressen kamen aus dem Kreis des Online-Portals www.mw-online.de, das schon seit Jahren mit „E- Coaching“ experimentiert sowie aus Stichprobem im Internet. Auf dem Hintergrund des o.gen. Coachingbegriffs wurde nach Erfahrungen, verwendeten Medien sowie Sichtweisen auf Vor- und Nachteile gefragt.
Die Ergebnisse im Einzelnen
Im Durchschnitt praktizieren die Befragten Coaching via elektronische Medien seit Ende der 1990er Jahre und alle Befragten teilten das Grundverständnis von Coaching im genannten Sinne. E-Coaching lässt sich damit eindeutig vom Bereich E-Tutoring oder technischem Support abgrenzen. Allerdings besteht keine Einigkeit darin, ob es sich um eine eigenständige Methode handelt oder nur um einen komplementären Beitrag zur klassischen face-toface-Sitzung.
Wenn auch das große „E“ vor dem Coaching die Verbindung zu großartigen technische Innovationen wie Videokonferenz und Chatroom suggeriert, so geht die Praxis wohl eher konventionelle Wege. Im Mittelpunkt stehen Telefon und E-Mail. Andere Techniken so der Tenor, seien in der Alltagspraxis wenig robust und praktikabel. Spezielle Software wird wenig eingesetzt. E- Coaching ist an jedem beliebigen Ort (sofern Internetzugang vorhanden) zu jeder Zeit möglich, Terminabsprachen könnten ggf. entfallen, Reisekosten werden eingespart. Das ist das große Plus, das die neuen Medien für Coach und Coachee bietet.
Die große Schwäche bleibt der Verlust von Kontakt und „reicher“ Kommunikation. Die Kommunikation ist arm an nonverbalen Signalen und kann als anonymer und distanzierter empfunden werden. Unter dem Stichwort „Telefon-Seelsorge-Effekt“ kann Anonymität aber auch zu einem Sicherheitsgefühl auf Seiten des Klienten führen und somit gerade die räumliche Distanz zu einem schnelleren und intensiveren Kontakt führen. Als Geschäftsmodell allerdings schwierig - wem sendet man die Rechnung?
Sieht man vom Coaching via Telefon ab, so ist die Kommunikation in der aktuellen Praxis via E-Mail auf den geschriebenen Text beschränkt. Auch hier ist der Beziehungsaspekt der Kommunikation eingeschränkt, Hinweisreize z.B. durch Mimik oder sprachliche Intonation sind schriftlich nicht zu vermitteln und unter Umständen redet man an einander vorbei. Die Praxis bestätigt jedoch auch ein mögliches positives Potential: Die Reduktion auf den schriftlichen Kanal verläuft mit weniger „Beigeräuschen“ und verstärkt die Konzentration auf die Sachaspekte. Aufgrund der Asynchronizität der Kommunikation können eventuelle Verständnisfehler nur mit zeitlichem Verzug behoben werden, Asynchronizität kann jedoch auch zu einem höheren Grad an Reflektion führen. Die Verschriftlichung setzt Mechanismen in Gang, die sich positiv auf den Entwicklungsprozess auswirken. Dieser „Tagebucheffekt“ hat zudem den Vorteil, dass die Inhalte elektronisch gespeichert werden. Der Verlauf eines Coachings kann über die Zeit hinweg verfolgt werden, Fragen, Antworten, Verlauf und Zielsetzungen sind für Coach und Coachee jederzeit überprüfbar und; der Coaching-Prozess wird transparenter. Einer der Coaches berichtet von guten Erfahrungen mit seinem so genannten „semi- strukturierten Ansatz“, d.h. er gibt kurze theoretische Inputs, best practices sowie schriftliche Arbeitsaufträge, die dann eine gut strukturierte, zielführende Interaktion mit dem Coachee unterstützen können.
Ungeklärt bleibt zuletzt die Frage der Vertraulichkeit. Es ist schwer einzuschätzen, wie sicher die vertraulichen Daten im Internet tatsächlich sind.
Fazit
Die Praxis des E-Coaching verhält sich der technischen Innovationen gegenüber eher konservativ und setzt vorwiegend auf Telefon und E-Mail. Die Vorteile werden klar in der zeitlichen und räumlichen Flexibilität gesehen, die diese Medien für den Kunden bieten. Vorteile zeigen sich darüber hinaus bei sachbezogenen Themen, die weniger affektiv geladen sind und bei denen strukturiertes, methodisches Vorgehen gefragt ist. Erstaunlicherweise scheint die „Kontaktarmut“ des E-Coaching von der Praxis nicht als gravierend betrachtet werden. In Anbetracht der rasanten Entwicklung der IuK-Technologien und der zunehmenden globalen Vernetzung wird sich E-Coaching sicherlich noch eine eigene Nische erkämpfen. Aktuell ist es allerdings wohl nicht mehr als ein nice-to-have Komplement zur klassischen persönlichen Coaching-Sitzung.
Christian Lippmann & Michael Bruseberg, structura im Jahr 2006